HT 2023: Nachrichten aus der „anderen“ Welt: Auslandskorrespondent:innen in der Zwischenkriegszeit und im Kalten Krieg, 1922-1991

HT 2023: Nachrichten aus der „anderen“ Welt: Auslandskorrespondent:innen in der Zwischenkriegszeit und im Kalten Krieg, 1922-1991

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (Universität Leipzig)
Ausrichter
Universität Leipzig
PLZ
04107
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2023 - 22.09.2023
Von
Stefan Messingschlager, Fachgruppe Geschichte, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg

Welches Bild wir von anderen Gesellschaften haben, war bis vor wenigen Jahrzehnten vor allem davon abhängig, wie Auslandskorrespondent:innen „das Andere“ beschrieben, deuteten und vermittelten. Dabei übermittelten Korrespondent:innen wie etwa Gerd Ruge aber nie einfach nur Nachrichten, mit ihrer Präsenz vor Ort konstruierten sie Medienereignisse und avancierten selbst zu Medienstars, die sich im journalistischen Wettbewerb inszenierten und für sich bisweilen auch eine transnationale Mittlerrolle beanspruchten. Die vier Vorträge der Sektion widmeten sich solchen Rollenzuschreibungen, den Selbstreflexionen und der journalistischen Praxis von Korrespondent:innen im kurzen 20. Jahrhundert. In den Blick kamen dabei internationale Korrespondent:innen der Zwischenkriegszeit ebenso wie westliche Korrespondent:innen im Kalten Krieg und die ostdeutsche Auslandsberichterstattung nach 1949.

Journalistische Beiträge von Auslandskorrespondent:innen sind nie nur einfache Darstellungen von Ereignissen – sie eröffnen auch den Blick auf die Selbstbilder und Rollenentwürfe der Autor:innen selbst. Von dieser Prämisse ausgehend untersuchte CAROLINE BREITFELDER (Hamburg) im ersten Vortrag, wie sich in der journalistischen Praxis und den Beiträgen zweier ausgewählter Auslandskorrespondent:innen der 1920er-Jahre ihr jeweiliges Rollenverständnis manifestierte und welcher kommunikativer Strategien sie sich bedienten, um im journalistischen Wettbewerb besondere Glaubwürdigkeit beanspruchen zu können.

Als erstes Fallbeispiel führte sie den bürgerlichen Journalisten Paul Scheffer an, der ab November 1921 als Auslandskorrespondent des liberalen Berliner Tageblatts in Moskau wirkte. Scheffer verstand sich als vermittelnder Experte zwischen der Sowjetunion und Deutschland; sein Ziel war es, die bolschewistische Umgestaltung der jungen sowjetischen Gesellschaft zu verstehen und für seine Leserschaft kritisch einzuordnen. Kontrastierend dazu entwarf Caroline Breitfelder das Porträt der sowjetischen Schriftstellerin und Reporterin Larissa Reissner, die ihre Rolle vor allem als Sprachrohr der Arbeiterschaft sah; ihr Ziel war es wiederum, sich mit ihrer Berichterstattung an die Utopie einer neuen Weltordnung anzunähern und einen Beitrag zur Erschaffung des sogenannten „Neuen Menschen“ zu leisten.

Die Darstellung und Vermittlung dieser Rollenkonzepte war Breitfelder zufolge essenziell für die journalistische Arbeit der beiden Korrespondent:innen; die selbst zugeschriebenen Rollen waren Alleinstellungsmerkmale in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie und zugleich wichtige Instrumente in der Herstellung von Glaubwürdigkeit. Trotz unterschiedlicher Rollenbilder zeigten sich aber auch Ähnlichkeiten, gerade mit Blick auf die kommunikativen Strategien ihrer jeweiligen Selbstinszenierung: Scheffer wie Reissner betonten ihr Erleben vor Ort als wichtiges Mittel zur Begründung ihrer Expertise und verwiesen auf das eigene personelle Netzwerk; vor allem aber bauten sie jeweils ein enges Verhältnis zu ihrem Zielpublikum auf, indem sie über unterschiedlichste rhetorische Strategien auf die Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls zielten. Mit ihren eindrücklichen Schilderungen untermauerte Caroline Breitfelder ihr abschließendes Plädoyer, journalistische Berichte als Quelle für die Untersuchung des journalistischen Rollenverständnisses ernst zu nehmen.

Im zweiten Vortrag analysierte JÖRN HAPPEL (Hamburg) Fotoberichte als Medium der Inszenierung des „Ostens“. Nachdem im Vortrag zuvor ein kulturhistorischer Zugang dominiert hatte, rückte damit nun die Medialität der Auslandsberichterstattung in den Fokus. Konkret untersuchte er, wie internationale Zeitungsfotograf:innen die Sowjetunion in den 1930er-Jahren und 1940er-Jahren inszenierten und zeigte auf, wie dabei etablierte Stereotype vom „Osten“ tradiert wurden.

Im Mittelpunkt des Vortrags standen ausgewählte Fotografien der deutschen Zeitungsfotografin Gisela Pörzgen-Döhrn sowie der Schweizer Publizistin und Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach aus den Jahren 1938 bis 1941. Es sind Fotografien aus einer Zeit des Übergangs, in der, mit der im Kontext des Hitler-Stalin-Paktes propagierten deutsch-sowjetischen Freundschaft, kurzzeitig eine propagandistische Kehrtwende inszeniert werden musste. Noch kurz zuvor war in Ausstellungen im gesamten deutschen Reichsgebiet der Lebensraumgedanke forciert worden. Nun wurden Fotografien vom Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes veröffentlicht, die führende Politiker beim geselligen Beisammensein zeigen und so die neu proklamierte deutsch-sowjetische Freundschaft unterstreichen sollten. Ähnliches lässt sich für die mediale Inszenierung des Besuches Vjačeslav M. Molotovs in Berlin 1940 konstatieren. 1941 erfolgte dann jedoch die erneute Kehrtwende: Die Sowjetunion wurde wieder zum „Bösen aus dem Osten“ stilisiert; dies spiegelte sich auch darin wider, dass 1939/1940 angefertigte Fotografien in ihrer Bildaussage umgedreht wurden. Am Beispiel von Kinderfotos und Fotografien Stalins zeigte Happel auf, wie diese neu untertitelt und damit an die neue Situation der Konfrontation mit der Sowjetunion als eigentlicher Bedrohung angepasst wurden.

Happel schilderte in seinem Vortrag eindrücklich, wie sich in der Verwendung von Fotografien die politischen Umbrüche der Jahre 1939-1941 widerspiegeln. Zugleich wies er darauf hin, dass die erneute Umdeutung Sowjetrusslands durch die Nationalsozialisten gerade auch deshalb erfolgreich war, als dabei propagandistisch auf seit vielen Jahrhunderten vorherrschenden Ängsten West- und Mitteleuropas vor dem „Osten“ als asiatischem Gewaltraum rekurriert werden konnte. Gerade eine längere diachrone Perspektive eröffne in diesem Zusammenhang ein besseres Verständnis für die Wirkmächtigkeit dieser bildlichen Motive, so die abschließende These Happels.

Mit dem dritten Vortrag bewegte sich die Sektion in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. SUNE BECHMANN PEDERSEN (Stockholm) widmete sich in seinem Vortrag den ostdeutschen Auslandskorrespondent:innen außerhalb des sogenannten „Ostblocks“. Sein Erkenntnisinteresse lag dabei explizit nicht auf der Politisierung der ostdeutschen Auslandsberichterstattung oder den konkreten Inhalten der Berichterstattung, die bereits gründlich erforscht seien. Ihn interessierten vielmehr die politischen und sozialen Kontexte, in denen die jeweiligen journalistischen Inhalte produziert wurden. Auf Grundlage des noch wenig bearbeiteten Materials des Deutschen Rundfunkarchivs analysierte Pedersen an ausgewählten Beispielen die Kommunikation zwischen den Auslandskorrespondent:innen und ihren Vorgesetzten in Ost-Berlin, um auf diese Weise Rollen- und Selbstverständnis der Korrespondent:innen ebenso wie deren journalistische Praxis herausarbeiten zu können.

Mit Blick auf die strukturellen Rahmenbedingungen der Auslandsberichterstattung wies Pedersen darauf hin, dass die DDR-Korrespondent:innen beispielsweise des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN) oder der „Aktuellen Kamera“ streng selektiert wurden und besonders linientreu sein mussten. Sie vertraten in ihrer Berichterstattung die Parteilinie, standen im täglichen Kontakt mit höheren Parteikadern und hatten kaum Möglichkeiten, auch abseits des vorgegebenen Rahmens zu berichten. Anders als für ihre westdeutschen Pendants gehörte es so auch zu ihren Aufgaben, nachrichtendienstlich relevante Informationen zu sammeln. Für ihre Heimatredaktionen in Ost-Berlin waren sie Berichterstatter und Agenten – ein Rollenverständnis, das der überwiegende Teil der DDR-Korrespondenten wohl teilte, wie Pedersen am Beispiel des Korrespondenten Volker Otts, des Chefs der „Aktuellen Kamera“ in Lissabon, eindrücklich zeigte, der 1984 in einem Bericht an seine Redaktion sein Selbstverständnis als Frontsoldat im Kalten Krieg deutlich zum Ausdruck brachte. Am Beispiel mehrerer Anekdoten aus dem Rundfunkarchiv unterstrich Pedersen zudem, wie wichtig es sei, die konkrete Praxis der ostdeutschen Auslandsberichterstattung zu untersuchen, denn gerade darüber könne man die Agency von Korrespondenten als diplomatische Akteure im Systemkonflikt besser verstehen.

Zugleich, und das zeigt Pedersen an mehreren Stellen, wäre es verfehlt, die DDR-Korrespondent:innen zu sehr auf ihre Tätigkeit als Agenten zu reduzieren. Vielmehr jonglierten sie mit ihren Rollen als professionelle Journalisten und Agenten ihres Staates – manchmal auch entgegen den Erwartungen ihrer jeweiligen Vorgesetzten in Ost-Berlin.

KIRSTEN BÖNKER (Köln) drehte im letzten Vortrag der Sektion die Blickrichtung wieder um, sie befasste sich mit den westlichen Auslandskorrespondent:innen in der Sowjetunion in der Zeit des Kalten Kriegs. In komplementärer Perspektive zum Vortrag Pedersens stand die Frage im Mittelpunkt, welches Rollenverständnis wiederum die westlichen Korrespondent:innen hatten und welche Bilder sie von der sowjetischen Gesellschaft zeichneten.

Bönker betonte, dass den westlichen Korrespondent:innen in Moskau eine besondere Bedeutung zukam: Sie verbrachten am meisten Zeit im Land und insbesondere die deutschen Journalist:innen hatten im Gegensatz zum diplomatischen Personal grundlegende Sprach- und Landeskompetenzen, weshalb sie auch einen Expertenstatus für sich beanspruchen und sich entsprechend medial inszenieren konnten. Ihren Deutungsangeboten über die sowjetische Gesellschaft kam vor diesem Hintergrund großes öffentliches Gewicht zu, nicht zuletzt, weil der Kalte Krieg immer auch eine mediale Auseinandersetzung um soziale, politische oder auch kulturelle Deutungsangebote war. Die Frage, wie die sozialistische Gesellschaft in der Sowjetunion zu deuten sei, gab Anlass für journalistische Deutungskämpfe, vor allem zwischen deutschen und amerikanischen Korrespondent:innen. Bönker zeigte an einer Vielzahl von Beispielen, dass die Darstellung der sowjetischen Gesellschaft letztlich vor allem davon abhing, wie die Korrespondent:innen den Systemwettbewerb konstruierten: Deutsche Korrespondent:innen wie Klaus Mehnert zeichneten überwiegend ein freundliches Bild des russischen Menschen, der trotz der Umerziehungsversuche des Sowjetregimes, seinen liebenswerten menschlichen Kern behalten habe und sich mit dem Regime arrangiere, aber nicht identifiziere; auf diese Weise rückten Ähnlichkeiten zu den westlichen Gesellschaften in den Vordergrund. US-amerikanische Korrespondent:innen wie Hedrick Smith setzten dieser Deutung eine deutliche Differenzmarkierung gegenüber: In „The Russians“ (1975) pointierte Smith die erheblichen Unterschiede zwischen dem westlich-amerikanischen und dem sowjetischen Lebensstil. Die Bedingungen des autoritären Regimes und das Erbe der langen repressiven Geschichte stünden einer Annäherung mit dem „Westen“ diametral entgegen. Dieses breit rezipierte Deutungsangebot brachte ihm scharfe Kritik seitens deutscher Rezensenten ein, die für sich beanspruchten, mit ihren Landeskenntnissen die Sowjetunion besser erklären zu können.

Die internationalen Korrespondent:innen in Moskau entwarfen im Kalten Krieg ein strategisches Bild der sowjetischen Gesellschaft, das je nach Stand der außenpolitischen Beziehungen zur Sowjetunion unterschiedlich ausfiel. Sie standen vor der Herausforderung, aus fragilen Fakten tragfähige Deutungen ableiten zu müssen – viele taten dies als Brückenbauer:innen, einige als Informationskrieger:innen, wie Bönker resümierte.

Die Sektion schloss mit einigen vortragsübergreifenden Fragen unter anderem zu den Arbeitsbedingungen von Korrespondent:innen im 20. Jahrhundert. Sie war von den Organisator:innen Kirsten Bönker (Köln) und Jörn Happel (Hamburg) nicht nur stimmig konzipiert worden; die Referent:innen setzten die Leitperspektiven in ihren Vorträgen auch jeweils so um, sodass die Vorträge gewinnbringend ineinander griffen und der Zuhörerschaft damit eine problemorientierte Annäherung an das facettenreiche Thema der Auslandskorrespondent:innen geboten wurde. Inhaltlich unterstrichen die Vorträge nicht nur die politische und transkulturell-vermittelnde Bedeutung von Auslandskorrespondent:innen im 20. Jahrhundert, sie verwiesen zudem besonders auf das heuristische Potenzial einer Analyse ihrer Rollenverständnisse und Selbstinszenierungen. Die fruchtbaren Vorträge und die insgesamt breite Resonanz auf das Sektionsthema verlangen geradezu nach weiterer Forschung zu diesem Feld.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Kirsten Bönker (Köln) / Jörn Happel (Hamburg)

Caroline Breitfelder (Hamburg): Memoiren, Meinungen, Macht: Auslandskorrespondent:innen

Jörn Happel (Hamburg): Den Osten inszenieren. Fotoberichte aus der Sowjetunion der 1930er Jahre

Sune Bechmann Pedersen (Stockholm): Übertreib das Ganze doch nicht, wir sind hier doch nicht im Krieg

Kirsten Bönker (Köln): Brückenbauer:innen und Informationskrieger:innen: Journalistische Deutungskämpfe im Kalten Krieg

Moderation: Jan Hinnerk Antons (Hamburg)

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